Hayat = Leben

plapperlaplapp, TEXT

Im Heiligen Qur’an ist das Leben sehr vielschichtig beschrieben.

Wir haben das Leben gestern im Aufzug des Antwerpener Hauptbahnhofs getroffen und gemeinsam einen vor uns stehenden Zug mit der Sicherheitsbegründung ‘niet mer instaapen’  verpasst.

Es ist Sonntagabend, wir haben heute die Überpünktlichkeit der belgischen Eisenbahn bei Hin- und Rückfahrt erfahren und bei beiden daraus resultierenden Bahnhofsherumlümmeleien schöne Begegnungen.

Hayat bedeutet Leben, erklärt uns die sympathische Frau in ihren schätzungsweise Dreißigern, légère in Jeans, Pullover und einem hellen farbigen Kopftuch bekleidet – voller Freude über den interkulturellen Austausch –  in der Regionalbahn L2872 von Antwerpen Central nach Leuven. Ihr Name Hayat, sie ist Belgierin mit marrokanischen Wurzeln.

Voller Leben klingt auch das, was sie uns sehr authentisch in den 15 Minuten gemeinsamer Zugfahrt erzählt, einen betrunkenen Mann im Abteil seltsam zu uns drei Frauen hinüberschielen und uns  kopfschütteln lässt.

Hayat hat gerade ihren neunjährigen Sohn im Kinderheim besucht. Das Kind ist dort seit 15.Oktober letzten Jahres, nagt seither Fingernägel und rebelliert. Das Kind kam dorthin, weil ihr die belgischen Behörden auf Drängen des aus dem Irak zurückgekehrten Vaters das Sorgerecht entzogen.  Hayat erzählt uns eine Geschichte, die der des Romans ‘Nicht ohne meine Tochter’ gleichkommt. Der Irakische Vater reist mit Frau und fünfjährigem Sohn in sein Herkunftsland. Hayat muss und will zurück nach Belgien, der Vater nicht und besteht auf den Sohn. Die irakischen Behörden sprachen der Mutter das Recht auf ihr Kind zu, entließen diese in ihre belgische Heimat und verknackten den Vater.  Nach Absitzen der Haft kehrt auch dieser zurück nach Belgien und verklagt die Mutter…

Aisha, écoute moi

die lieben nachbarn, TEXT

Multikulti! Gestern kochten wir thailändisches Massaman Curry vegane Art, indischen Biranyi Reis als spontanes Abendessen zu Orangina und belgischem Bier für eine Somalierin, eine flämische Palästinenserin, die in Jordanien aufgewachsen ist, eine Argentinierin mit belgischem Pass und eine die südostasiatische Küche favorisierende Schwäbin mit Wahlheimat Mannheim. Unter diesen Umständen fühlt man sich auch in einer flämischen Stadt mit katholischer Universität wohl.

Eigentlich hätten wir Maultaschen machen sollen. Was Schwaben am heiligen Fischfreitag essen. Und Muslime bestimmt am Ramadan wenn die Sonne im Zenith steht. Aisha ist nämlich ein kleines Ramadan-Bscheißerle.

Es ist mein erster Austausch mit gläubigen, in bunte Kopftücher gehüllten muslimischen Frauen.

Bis dahin kannte ich nur Muslime, die Religion so kulturell bedingt und philosophisch sehen wie ich, darunter Mustafa – mein İstanbuler Freund und Aufklärer über die moderne Türkei (vor Erdoğan…) , eine homosexuelle Alevitin (im Alevitentum sind Frauen gleichberechtigt und in den alevitischen Glaubensgrundsätzen mit den gleichen Rechten ausgestattet wie Männer) und Hanife, unsere Mannheimer Lieblingsbedienung und Kaffeesatzexpertin.

Frauen mit bunten Kopftüchern in Brüssel

Aisha lernte mich vergangene Woche halbnackt mit einem Handtuch umwickelt an der Wohnungstür meiner Freundin kennen. Auch wenn ich mir die Situation andersherum nicht vorstellen kann, war ihr das mit der Tür in die Dusche fallen und mit einer Fremden unbekleideten Westlerin zu quatschen ziemlich egal. Im Gegensatz zu mir war Aisha auch anständig angezogen –  mit einem ein Hawaiihemd anmutendem somalischen Gewand und beigefarbenem Kopftuch.  Sie macht das freiwillig, zeigt ihr süßes Gesicht und erklärt mir das Kopftuch als persönliche Entscheidung und kulturelle Gepflogenheit. Selma wendet ein, sie fühle sich damit  in der fremden Öffentlichkeit auch weniger nackt und überlässt uns ihr Kopftuch zum Anprobieren. Erkenntnis: mein deutsches Gesicht passt besser unter eine Wollmütze und meine argentinische Freundin würde, das Tuch anders gebunden, als Piratin durchgehen.