Einfach nichts denken

Küstenwache, TEXT

Auf der Suche nach der Ursache meiner Ohrgeräuschsymptomatik bin ich in Hape Kerkelings Jakobsweg Pilgerreiseroman Ich bin dann mal weg auf einen Erklärungsversuch und Heilungsansatz gestoßen, der mir nicht fremd ist.  Einfach nichts denken. Vielleicht ist es dieser Zustand in den ich mich beim Jollensegeln oder Slacklining befördere, und mir damit bereits mehrfach die klassische Hörsturztherapie  mit Cortisoneinnahmen und Infusionen ersparen konnte.

Man ahnt gar nicht, was mit dem Körper passiert, wenn man ihn ohne Denken und Sprechen nur vorantreibt und läuft. Einfach nicht denken. (…) Aber mein Denken zu stoppen ist fast unmöglich. In Gedanken stimme ich ständig irgendwelche Lieder an oder denke über zusammenhanglosen Schrott nach. Wo sind meine Hausschlüssel? Zigaretten kaufen, kaputte Füße, Hunger auf Kartoffelsalat! Irgendwann schalte ich im Kopf tatsächlich den Denkstrom ab und denke einfach nichts mehr. Einen Weg zu beschreiben, den man ohne Gedanken geht ist nahezu unmöglich. Da man die Dinge nur noch ungefiltert und ohne sie zu bewerten wahrnimmt. Und wertfreies Wahrnehmen lässt sich später kaum schriftlich formulieren. Alles wird eins. Mein Atem, meine Schritte, der Wind, der Vogelgesang, das Wogen der Kornfelder und das kühle Gefühl auf der Haut. Ich gehe in Stille.  Drücke ich während des Wanderns mit meinen Füßen auf den Weg oder drückt der Weg auf meine Füße? Ohne meine Gedanken bin ich ohne Ausdruck und die Landschaft, die Geräusche und der Wind beeindrucken mich nicht. Auch Hässlichkeiten wie eine tote Katze auf dem Weg, oder Schönheiten wie die schneebedeckten Gipfel des kantabrischen Gebirges hinterlassen keinerlei Eindruck. Diese totale Abwesenheit von Druck ist ein barmherziger Zustand. Er bringt keinen Spaß, aber auch kein Leid mit sich. Und am Ende des Weges stelle ich fest, wenn ich mich nicht in Wort und Gedanken ausdrücke, beeindruckt mich auch nichts. Weder Wind noch Regen. Wenn man seinen Ausdruck in Denken und Handeln, Sprechen, Singen, Tanzen nicht gelegentlich pausieren lässt, verselbständigt er sich und das Ergebnis ist die Erzeugung ständigen Drucks. Jeder eigene Ausdruck führt zu einem Eindruck bei anderen, und der erzeugt in ihnen neuen Ausdruck, der widerum für einen selbst beeindruckend ist. Der sich ständig ausdrückt ist auch immer beeindruckt. So entstehen Ehekräche und Weltkriege. Irgendwann legt dieser ständige Druck jeden lahm. In der Stille herrscht kein Druck. Wenn ich nichts denke, nichts ausdrücke, bin ich aber trotzdem immer noch da.  Auf dem Weg treffe ich eigentlich immer wieder nur auf eins. Auf mich. Und was ich in Zukunft ausdrücke, werde ich mir noch genauer überlegen als bisher. [ Hape Kerkeling . Ich bin dann mal weg ]