Es ist Mittagszeit im Strandörtchen Kovalam, 15 km südwestlich von Trivandrum in der südindischen Provinz Kerala, als mich der 26 jährige Vinni mit dem Motorroller zur Besichtigung der SISP Einrichtung im Dorf abholt.
S.I.S.P. steht für Sebastian Indian Social Project und ist eine Non-Governmental Organization mit dem Ziel, Kindern aus ärmsten Verhältnissen eine grundlegende Schulausbildung und Erwachsenen, u.a. Witwen, die in Indien wertlos angesehen werden und sich oft umbringen, den Schritt in die Selbständigkeit über Mikrokredite zu erleichern oder Arbeit in den Werkstätten zu geben, in der Altpapier und Kokosnussschalen zu Tüten und Kunsthandwerk sowie Baumwolle zu Hygienetüchern verarbeitet werden. Mit etwa 6000 Rupees Monatslohn (ca. 75€) können sie so einigermaßen ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Zur Sightseeing-Tour der anderen Art kam ich gestern Abend bei Tee in den roten Plastikstühlen vor Abhi’s Café, meiner frisch renovierten Unterkunft im Kovalam Surf Club. Während sich Jelle, Mitarbeiter von SISP und Gründer des Surfclubs vor einem Jahr für den Weihnachtsurlaub in Belgien verabschiedet, treffe ich Vinni, der selbst vor zehn Jahren von SISP Gründer Paul aus einer armen Familie geholt und in der Schule ausgebildet worden ist, und Leen, eine freiwillige Mitarbeiterin in ihren Fünfzigern aus Antwerpen, und verabrede mich gleich für einen Besuch der von S.I.S.P. ins Leben gerufenen Schule und Werkstätten.
Vinni kümmert sich um administrative Angelegenheiten, macht begeistert Fotos für die Webseite des Projekts und Besorgungen, wie heute die zwei Sahnetorten für die 80-90 Kinder und Mitarbeiter im SISP Center anlässlich der Weihnachtsfeier.
Etwa sechzig Kinder, vom Grundschulalter bis zur mittleren Reife, auch mit geistigen Behinderungen oder lernschwäche, werden in verschiedenen Klassen in der SISP Schule in ihrer Muttersprache Malayalam, Englisch, Hindi, Mathematik und Naturwissenschaften von einheimischen Lehrern unterrichtet. Es gibt einen Computerraum mit etwa acht bescheidenen Terminals älteren Standards, an denen der Umgang mit Tabellenkalkulations- und Textverarbeitungsprogrammen geschult wird. Die Kinder werden morgens gegen zehn vom SISP Bus abgeholt und erhalten ein Frühstück und Mittagessen.
Das Schulgebäude ist das vierte seit Gründung von SISP durch die Belgier Paul van Gelder und Werner Fynaerts vor 17 Jahren. Mit Aufgabe seines Hotels Sebastian im belgischen Mechelen, das dem Sozialprojekt seinen Namen gibt, und Unterstützung privater Sponsoren konnten Schulgebäude, Werkstatt und zuführende Straße gebaut und ausgestattet werden. Von Unterstützung der indischen Regierung kann nicht die Rede sein, Helfer wie Leen können sich nur über ein drei Monate gültiges Touristenvisum in Indien aufhalten, was sich über den Umweg Sri Lanka ggf. verlängern lässt (die deutsch-indischen Beziehungen scheinen besser zu sein, mein Touristenvisum gilt sechs Monate).
In der Küche treffe ich wieder auf die Hotelschullehrerin in Auszeit, Leen, die mir erzählt, dass sie erst einmal für Sauberkeit in der Küche gesorgt und einen Putzplan aufgestellt hat, als sie vor neun Monaten hier ankam. Ein Erfolg, denn auch während ihrer Visumantrag bedingten Abwesenheit blieb die Küche halbwegs sauber. Für die 80-90 Mitesser (60 schulkinder und 30 werkstättenangestellte, Lehrer und Sozialarbeiter) werden 8kg Reis in einem riesigen Reiskocher gekocht. Ein Kilo Reis kostet um die 30 Rupees, aber selbst das können sich arme Familien nicht immer leisten. Wenn ich daran denke, dass ich gestern in einer schicken Strandbar 550 Rupees für Abendessen und Getränke habe liegen lassen (was für Westler wie mich immer noch sehr preiswert ist, auch im Vergleich zu dem schnieken Resort der Taj Hotelgruppe, für das in Kovalam angeblich um die 25000 Rupees pro Nacht hingeblättert wird), und hinter mir eine lautstarke deutsche Yoga-Ayurveda-Urlaubsgruppe mit übergewichtigen Gören dinierte, wird mir ganz anders.
Die Stimmung am letzten Schultag vor den zweiwöchigen Weihnachtsferien ist ausgelassen. Grüppchenweise gehen die Lehrerinnen und Lehrer mit ihren bedürftigen Schülern heute in ein kleines Schuhgeschäft im Dorf und bekommen je ein paar neue Sandalen und Kleidung, während die anderen schon mal die Schule für die kleine Feier dekorieren. Die Kids sind ganz wild nach meinen Fotoapparaten, tanzen auf den Tischen zu ohrenbetäubender Musik und lassen mit Papierschnipseln gefüllte Luftballons platzen, bis der Rektor um Ruhe bittet und vor dem Festessen – Chicken Biriyani, Ananas und Torte – und eine kurze Rede hält, auch für Papa Paul, der aus familiären Gründen dieses Weihnachten nicht in Indien sein kann.
Das Projekt SISP zu unterhalten kostet zirka 8000 Euro monatlich. Die müssen erst einmal durch Spenden, den Verkauf der Produkte aus den Werkstätten, oder die Surfschule erwirtschaftet werden. Begabten Schüler und Schülerinnen finanziert die Organisation auch High School und Universitätsausbildung. Vinis Halbbruder Krishna bekam durch SISP die notwendige Unterstützung für seine Ausbildung zum Flugzeug Ingenieur.
Profite aus dem Kovalam Surfclub, in dem auch ehemalige SISP Schüler Arbeit gefunden haben, gehen direkt in das Projekt. Kinder, die sich gut in der Schule benehmen,werden mit Surfaktivitäten am Wochenende belohnt.
[SISP.BE] Sebastian Indian Social Projects
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