Hühnerarsch bei Schlangengift und surfende Mönche

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So richtig angekommen in Indien bin ich noch nicht angesichts meiner täglichen IPad-Nutzung zur weiteren Reiseplanung und den vielen Ideen, die mir zu Kopf steigen und alle im internet zu recherchieren sind. Auch wenn es hier bei den vier hübschen Surf-Mönchen im Hare Krishna Ashram zu Mulki, dem Stützpunkt des Mantra Surf Club , nichts ungewöhnliches ist, im Internet zu surfen oder sich mit den aktuellsten Smartphones zu befassen. Wie die jungen Pärchen mit gut bezahlten IT Jobs aus Bangalore oder Mumbai, die hierher am Wochenende für einen Surfkurs kommen, als auch die Dorfbewohner Mulkis, deren Behausungen nicht einmal über fließendes Wasser verfügen. Sanjeev Bhaskar schreibt treffend in seinem Reisebericht ‘India’

is there a brandnew breed of super underclass rising in India? Those ‘have nots’ without even a mobile phone?

mulki_nachbarschaft Während ich hier das beste Zimmer gebucht habe, mit Veranda und Flussblick unter Kokosnusspalmen, Insektenabweisenden Gittern an den Fenstern, schönem Durchzug, Licht, Steckdosen, wobei in einer ein elektrischer vanilleduftzerstäuber steckt, und einem Bad mit zwar spärlich aber fließendem kalten Wasser, schaue ich auf die benachbarten Wellblechhäuschen mit zugehörigem Brunnen, aus dem das Wasser in den krügen kommt, mulky-0054mit denen sich die Bewohner im Palmenwald duschen, oder mit einem Waschbrett die Wäsche waschen. Die Kinder strahlen mich alle an, sagen ganz cool ‘Hi’ und kichern etwas von ‘English’. Für ein Foto mit meinem teleobjektiv posieren sie freudestrahlend. Gedanken, dass ich hier ausgeraubt werde, mache ich mir keine. Dafür sorgt die Hindu Religion und dessen Philosophie der Wiedergeburt in ein vielleicht besseres Leben. Der Tag beginnt bei den Surfing Swamis um 5:30 mit Mantra Meditation, die mir etwas befremdlich vorkam, weil ich nicht damit gerechnet hätte, dass ich alleine ‘Hare hare krishna’ ohne eine melodie zu kennen, vor mich hinbrummeln sollte, während die Gläubigen im Stillen ‘singen’. Der meditationsraum ist klein aber fein, mit einem golden Schrein, Sitzdeckchen, brennenden Räucherstäbchen, Blumenblüten und Glöckchenklingeln. Das darauffolgende Yoga fand um 6 allein mit dem Capo des Ashrams auf der terasse statt, (die anderen machen nur Yoga, wenn sie Lust darauf haben, aber wurden zuletzt auf der Welle reitend mit kopfstand für ein Surfmagazin porträtiert) was zur Folge hat, dass man sich auf einem Bein stehend ständig irgendwo kratzen muss wegen der morgendlichen Schnaken. mulki_surfingSwamisZwischen 7 und halb acht werden wir samt SUP- und Surfboards mit einem Schlauchboot mit Außenbordmotor über den Fluss zum Strand an dessen Mündung transferiert für drei Stunden Surfen bei niedrigen, aber – vor allem für Anfänger wie mich – durchaus surfbaren Wellen. Auf dem Board zu sitzen und auf die richtige Welle zu warten ist für mich die einfachere meditation, die teilnahme an den religiösen Riten der Jünger des surfenden amerikanischen Gurus ist freiwillig. In meinem Übermut zog ich mir schon die ersten Blessuren an Knie und (sehr schmerzhaft) lendenregion zu, und finde meine wachsenden love handles zum ersten Mal sehr praktisch, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich heute schon wieder auf dem Board gestanden wäre mit einem Waschbrettbauch und ohne Tigerbalm/Diclophenak Selbstmedikation. Der Ort Mulki, 30 km nördlich von Mangalore gelegen, scheint für reiche Großstädter an Popularität zu gewinnen, den mehrstöckigen Residenzen, z.T. noch im Bau nach zu urteilen. Im Flugzeug aus Bombay (Mumbai) hingegen wunderte sich ein Mann mit seiner Familie noch über mich, da Westler hier eher selten ankommen. Mangalore ist nicht Goa. Und den Erzählungen der beiden Schweden aus Göteborg (Skellefteå) zufolge, von denen einer vegetarier ist und der andere mit Tattoos im heavy metal muscle shirt bei den geistlichen surfen lernten, wäre Goa auch nicht der Strand, an den es mich hinzöge…mulki_boards In Gesprächen mit den Bewohnern des Ashram und der Zusicherung, dass es hier weder Krokodile im Salzwasserfluss, noch andere gefährliche Tiere gibt (nur mangoartig aussehende Früchte,die wir besser nicht essen) erfahren wir von einem Schamanen aus der Region, der sich mit Schlangen auskennt. Einen Cobra Biss zu überleben ist recht unwahrscheinlich, aber man kann die Lebenszeit verlängern, indem man den Blutkreislauf um die Bissstelle herum abbindet und damit versucht zu unterdrücken, und sich ein Hühnchen schnappt und dessen Hintern auf die Bisswunde setzt. Der Hühnerarsch absorbiert das Gift aus der Wunde, das Huhn stirbt schneller.

Nachdem ich prophylaktisch 2 Grippostad eingeworfen habe als Reaktion auf meine heiße Stirn und leichte Kopfschmerzen am Nachmittag – (die Malarone tabletten heb ich mir mal für den notfall auf, und wenn, dann kann ich mir die Infektion höchstens in Mumbai zugezogen haben) die Temperaturen liegen an der südindischen Westküste zur Zeit um die 30 Grad Celsius – will ich jetzt vor Sonnenuntergang mit dem jungen Pärchen aus Bangalore, die ich zuerst mit ihrem IPhone vor diversen Surfboards posierend abgelichtet habe, eine Runde SUP Standup Paddeln im Fluss.

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Der betonierte Steg des Ashrams ist Treffpunkt der Nachbarschaft bei Sonnenuntergang. Während sich Manouk (heißt er glaub) schwer tut und meine Motivationskünste nicht ausreichen ihn auf dem Board und Wasser zu behalten, grüßt ein Fischer in seinem Kahn freundlich und die vier Männer aus der (ärmeren) nachbarschaft lachen mir mit weißen Zähnen zu. Ein paar nachfragen später verstehe ich ‘Coffee? Tea?’, ‘Where country?’ und ‘you came here alone?’ Was ich im Gegensatz zu Mumbai wahrheitsgemäß beantworte. Ich wünsche noch einen schönen Abend und bekomme erneut ein lächeln und dieses undefinierbare indische Kopfwackeln erwidert.

Aus der Küche hört man Töpfe klappern, es wird bald Zeit für das Dinner um 8, die zweite, immer sehr leckere vegetarische Mahlzeit am Tag nach dem brunch gegen 11 Uhr. Der Surfer Ashram vermarktet sich gut, inzwischen auch für den indischen Mittelstand, hat einen talentierten und Indiens einzigen Surf-Fotografen unter sich, und verkauft auch ein vegetarisches Kochbuch – für Surfer. [ZEIT Online] – Wellen der Erleuchtung

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